„Wenn man nur regional würzt, wird’s schnell langweilig“

Im schönen Weinort Klingenberg hat der ehemalige Sternekoch Ingo Holland zusammen mit seiner Familie ein Mekka für Gewürzkenner und Genussliebhaber geschaffen: das „Alte Gewürzamt“. Was ihn dazu gebracht hat, den Wahlberuf aufzugeben

Ingo Holland und aus seiner Leidenschaft für Aromen eine neue Berufung zu machen, verrät der Unterfranke im Gespräch mit Gastgeber Bayern.

 

Herr Holland, zusammen mit Ihrem Sohn führen Sie die Genussmanufaktur „Altes Gewürzamt“ in Ihrem Heimatort Klingenberg. Vom Spitzenkoch zum Gewürzexperten – wie kam es dazu?

Dass ich das Kochen zugunsten der Gewürze aufgegeben habe, war gewissermaßen ein autodidaktischer Prozess. Ausschlaggebend war wohl auch die Tatsache, dass ich bereits als Koch immer auf der Suche nach Neuem war. Durch Zufall hatte ich während eines Besuchs in Paris einen Laden entdeckt, in dem es Gewürze von solch einmaliger Qualität zu kaufen gab, wie ich sie zuvor noch nicht gesehen hatte. Daraufhin habe ich gleich größere Mengen mitgenommen und zuhause damit experimentiert. Das hat schließlich dazu geführt, dass ich auch eigene Gewürzmischungen entwickeln wollte. Nach einigen Jahren war dann der Punkt erreicht, an dem ich entschieden habe, mich künftig voll und ganz auf das „Alte Gewürzamt“ zu konzentrieren.

 

Ihr Interesse für Gewürze hat sich demnach Schritt für Schritt entwickelt. Oder hatten Sie bereits während Ihrer Kochausbildung ein besonderes Gespür dafür?

Ich bin von Natur aus neugierig und freue mich, wenn ich Dinge weiß, die andere nicht wissen. Mein Ansatz war es schon immer, selbst Erfahrungen zu sammeln, anstatt Kollegen um Rat zu fragen. Dies hat den Vorteil, dass man Fehler macht und daraus lernt.

 

Sie gelten über die Landesgrenzen hinaus als anerkannter Gewürzexperte. Welche Frage zum Thema Aromen wird Ihnen denn am häufigsten gestellt?

Am häufigsten zielen die Fragen darauf ab, welche Gewürzsorten man als ambitionierter Hobbykoch unbedingt zuhause haben sollte. Oft wollen die Menschen auch wissen, wie lange einzelne Gewürze haltbar sind und was man mit Gewürzen auf keinen Fall tun darf.

 

Und was wäre die Antwort auf diese letzte Frage? 

Gewürze sollten auf jeden Fall immer gut verschlossen sein. Inzwischen sollte jeder wissen, dass Gewürze kein Licht mögen. Außerdem sollte man immer darauf achten, dass keine Feuchtigkeit in die Verpackung kommt.

 

Erhalten Sie hin und wieder auch kuriose Anfragen für individuelle Gewürzmischungen?

Schon jetzt gibt es in Unternehmen immer mehr altersgemischte Teams, bei denen die Altersspanne deutlich höher ist als noch vor einigen Jahren. Die verschiedenen auf dem Arbeitsmarkt vertretenen Generationen stellen die Unternehmen vor.

 

Unternehmen müssen sich demnach auf unterschiedliche Erfahrungen, Ansprüche und Ziele einstellen?

Kurios finde ich, wenn einfach gefragt wird: Können Sie für mich ein Kilogramm neues Gewürz entwickeln? Oder wenn jemand mit einer Probe vorbeikommt, die auf einen Espressolöffel passt, und möchte, dass ich ihm diese Mischung „nachbaue“. Viele Menschen können schlichtweg nicht nachvollziehen, wie viel Aufwand es ist, komplexe Aromen in Einklang zu bringen. Ich gehe ja nicht einfach ans Regal und nehme sieben Dosen raus, die ich vorher ausgewürfelt habe. Die Entwicklung einer neuen Gewürzmischung setzt voraus, dass viel ausprobiert wird – und das kostet Zeit. Diese Entwicklungsarbeit muss dann eben auf bestimmte Mengen umgelegt werden. Bei nur einem Kilo würde die Gewürzmischung ein Vermögen kosten.

 

In welchen Regionen finden Sie denn Gewürze, die Ihren Ansprüchen gerecht werden?

Primär suchen wir nicht in bestimmten Regionen, sondern nach dem entsprechenden Einzelgewürz. Dabei bevorzugen wir natürlich jene Komponenten, die vor Ort angebaut werden und in bester Qualität erhältlich sind. Acht unserer Gewürze – darunter Kümmel, Koriander, Fenchel und Senfsaaten – stammen beispielsweise ausschließlich aus regionalem Anbau. Dadurch können wir eine Ökobilanz vorweisen, auf die jede andere Gewürzmühle stolz wäre. Woran auch wir allerdings nicht vorbeikommen, ist Indien. 90 Prozent aller Gewürzarten, die weltweit verwendet werden, kommen dort her. Aber auch in Afrika gibt es tolle Produkte, zum Beispiel Pfeffer oder Chili. Darüber hinaus sind bestimmte Erzeugnisse untrennbar mit ihrem ursprünglichen Herkunftsland verbunden. Deshalb beziehen wir unsere Paprikas ausschließlich aus Ungarn.

 

Finden Sie es widersprüchlich, in der regionalen Küche Gewürze aus nicht regionalem Anbau zu verwenden?

Überhaupt nicht. Manche Produkte brauchen einfach bestimmte Geschmackskomponenten, die nicht regional erzeugt werden können. Konsequenterweise dürfte man dann ja nicht einmal Lorbeer oder Wachholder verwenden. Das zeigt: Wenn man nur regional würzt, wird’s schnell langweilig.

 

Welches Gewürz darf denn bei keinem Gericht fehlen?

Salz ist zwar kein Gewürz, aber ohne das wird’s schwer. Davon abgesehen, halte ich nichts von Pauschalisierungen, weil jedes Gericht etwas Individuelles ist und seine speziellen Aromen braucht. Ebenso wichtig wie Salz ist aus meiner Sicht Pfeffer. Aber welcher? Schwarz, weiß, grün, rot? Es braucht immer eine passende Zusammenstellung.

 

Welchen Tipp geben Sie Köchen, die keine sechs verschiedenen Pfeffersorten griffbereit haben?

Einen schwarzen und einen weißen Pfeffer sollte jeder in der Küche haben. Der Schwarze ist fermentiert, etwas nussiger und bringt die ätherischen Frischearomen, der Weiße ist scharf und vollmundig. Damit kann man einen wahnsinnig großen Bereich abdecken.

 

Sollte Ihrer Meinung nach die Gewürzkunde ein fester Bestandteil der Kochausbildung sein?

Ob es dazu ein eigenes Fach braucht, weiß ich nicht. Auf jeden Fall sollte man sich aber intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und dabei etwas in die Tiefe gehen. Wichtig ist aus meiner Sicht, angehenden Köchen den richtigen Umgang mit verschiedenen Gewürzen zu vermitteln. Dabei geht es in erster Linie um Dosierung und Kombinationsmöglichkeiten.

 

Was kann man tun, wenn beim Kochen eine zu große Menge eines bestimmten Gewürzes verwendet wurde?

Ehrlich? Gar nichts. Ein Kollege hat mal zu mir gesagt, dass ein Liter Sahne immer hilft. Es ist aber nicht so. Ein falsch gewürztes Gericht ist nicht mehr zu retten. Ich sage deshalb immer: entweder wegwerfen oder der Verwandtschaft geben (lacht).

 

In Ihrer fränkischen Heimat ist die Bratwurst eine echte Institution. Wie wichtig sind Gewürze für deren Herstellung und welche Komponenten dürfen auf keinen Fall fehlen?

Da kommt es ganz stark auf die Philosophie an: Manche Metzger sagen, dass sie mit ein wenig Salz und Pfeffer auskommen, andere setzen auf kräftige Kräuternoten. Das spiegelt die Tradition der Bratwurst wider. Man muss ja das Rad nicht ständig neu erfinden. Wenn ich eine tolle Bratwurst habe, wäre es sogar kontraproduktiv, das Rezept immer wieder zu ändern. Für mich gehören beispielsweise Muskat, Zitrone, Majoran und natürlich frisch gemahlener Pfeffer dazu. Überhaupt wäre es schön, wenn häufiger mit frisch gemahlenen Gewürzen gearbeitet werden würde. Doch Vorsicht: Zu viel Würze macht ein Gericht schnell anstrengend!

Das Interview führten Laura Schmidt und Michael Schwägerl

 


ZUR PERSON
Ingo Holland kann auf eine jahrelange Karriere als Spitzen- und Sternekoch zurückblicken. Bis er im Jahr 2007 seine Kochschürze, zumindest offiziell, abgelegt hat, war er einer der 38 besten Köche Deutschlands. Von 1991 bis 2007 war er Träger eines Michelin-Sterns, sein Restaurant „Zum Alten Rentamt“ in Klingenberg wurde mit 18 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet. Die minderen Gewürzqualitäten, die ihm als Koch angeboten wurden, veranlassten Holland, selbst auf die Suche nach den besten Gewürzqualitäten zu gehen.